Joe Broughton’s Conservatoire Folk Ensemble im Kulturhaus Lüdenscheid, 24. Mai 2024

Geiger und Allround-Musiker Joe Broughton war als Mitglied der Albion Band 1999 in Lüdenscheid zu Gast, damals noch in einer Kneipe. Nun kehrte er mit über vierzig jungen Musikstudierenden zurück, diesmal in das „Wohnzimmer“ der Stadt, den großen Saal des Kulturhauses, wo die Folkpack – Reihe seit 2007 beheimatet ist. Dass es wiederum eine Deutschland-Premiere war, passt zum erfolgreichen Konzept des Veranstalters Markus Scheidtweiler:  Künstlerinnen und Künstler nach Lüdenscheid zu holen, die sonst nirgends in Deutschland zu erleben sind.

Als die Konzertreihe vor 25 Jahren startete, waren die meisten Mitglieder des Ensembles noch gar nicht geboren. Hier trat eine neue Generation an, so wie man sie sich wünscht: lebendig, kreativ und engagiert. Auch deswegen war es eine gute Idee, das Silberjubiläum mit der „größten Folkband Englands“ zu feiern. Es wurde aber vor allem die mitreißende Party, die man sich im Sauerland erhofft hatte.

Nach Worten der Begrüßung und des Dankes wurde ein Video mit Glückwünschen eingeblendet, wobei öfter ein Raunen des Wiedererkennens durch die Reihen ging: Eric Bibb, Ralph McTell, Chris While & Julie Matthews u.a.m. waren alle schon beim Folkpack zu Gast.

Dann hob sich die Trennwand und es wurde voll und bunt auf der Bühne. Dresscode war offenbar „Sommer“. Es wird aber trotz Regenwetters draußen niemand gefroren haben, denn die Musizierenden schienen ständig in Bewegung zu sein. Streich-, Blech- und Holzblasinstrumente aller Art, Gitarren, E-Bass und Perkussion waren in Gruppen sortiert,  bis auf die Cellistinnen spielten alle im Stehen. Weiterer Gegensatz zu einem herkömmlichen Orchester: es gab kein Fitzelchen Notenpapier, keine Pulte, keinen Dirigenten, der dem Publikum den Rücken zukehrt. Alles wurde auswendig gespielt. So war der Blick der Musizierenden frei, um untereinander zu kommunizieren. Den Takt gab der Mann am Cajon, Joe Broughton führte an seiner Geige die Melodie.

Ab dem ersten Ton entfaltete das Ensemble eine Wucht, die mühelos auch die höheren Ränge des gut besetzten Saals erreichte. Begeisternd waren die Spontanität und Lebensfreude, die von dem durchweg älteren Publikum gerne aufgenommen wurde. Gespielt wurden traditionelle Jigs und Reels in selbst kreierten Arrangements, aber auch komplette Eigenkompositionen mit überraschenden musikalischen Wendungen. Alle Mitwirkenden beherrschten ihre Instrumente so gut, dass sie locker agieren konnten.
Als klangliche Einflüsse könnte man europäischen Folk von Schottland bis zum Balkan, Klassik, Latin, Jazz, Rock oder auch Filmmusik nennen. Alle Mitglieder studier(t)en  an der Musikhochschule und proben wöchentlich zusammen. Von Müdigkeit war trotz 16-stündiger Bus-Anreise nichts zu spüren.

Joe Broughton ist sichtbar der Richtige, um die Freude am gemeinsamen Musizieren bei seinem jungen Team zu wecken, denn sein Konzept trägt bereits seit 27 Jahren. Es habe eine Menge Papierkram gebraucht, um die Gruppe herüberzubringen, berichtete der Ensembleleiter. Dass er und die Lüdenscheider viele Mühen auf sich nahmen, um den Trip auf den Kontinent zu verwirklichen, hat auch mit Prinzipien zu tun. Wie Broughton erzählte, habe die Gruppe zum Abschied vor dem Brexit in Brüssel gespielt unter dem Motto „Not Leaving Quietly“  – „Wir werden nicht leise gehen“.

Bereits in der Pause waren im Foyer jede Menge lobende Worte aus dem Publikum zu hören. Das Programm bot aber nicht nur Fülle, sondern auch feine Soli mit unerwarteten Talenten. Akkordeonist Isaac Boulter aus den USA zeigte sich mit „Old Virginny“ als großartiger Gospelsänger. Bei „Go Down Moses“ verwandelte sich das Orchester in einen Chor. Dann ging der Wettstreit zwischen Saiten- und Bläserfraktion weiter, mal unisono, mal mit gegenläufigen Melodien. Dazu gab es choreografierte Bewegungen, wohlgemerkt während des Spielens. Alle kauerten sich zusammen und richteten sich gemeinsam auf, der Bassist ließ seine Haare wirbeln, die Posaunen reckten sich nach oben. Da war es logisch, dass es die Aktiven gegen Ende nicht mehr auf der Bühne hielt. Sie spazierten los in Richtung Publikum, das begeistert von so viel positiver Energie stehend applaudierte. Eine Energie, die in Krisenzeiten besonders gebraucht wird.   

So passte der Auftritt mit seiner Mischung von Stilen und Wurzeln bestens in die Zeit vor der Europawahl. Ein Alptraum für alle, die Kulturen und Nationen  auseinanderdividieren wollen.